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Der Buddhismus gilt hierzulande als eine Art Joker-Religion – freundlich, weich, anschlussfähig. Buddhisten erscheinen entspannt, friedlich, offen, leistungsbereit. Genau deshalb scheint der Buddhismus perfekt zur sich wandelnden Leistungsgesellschaft zu passen. Doch das ist ein Missverständnis. In Wahrheit ruft der Buddhismus nicht zur sanften Selbstoptimierung auf, sondern zur tiefgreifenden Revision der Bedingungen, unter denen wir leben und arbeiten.
Um das greifbarer zu machen, beginnen wir mit einer fiktiven Person:
Anja arbeitet im Personalvorstand eines großen Pharmaunternehmens. Sie gilt als verlässlich, belastbar und stets positiv – ein Paradebeispiel moderner Hochleistungsarbeit. Nebenher stemmt sie ein komplettes Familienleben: zwei schulpflichtige Kinder, sportliche Verpflichtungen, Kochen, Elternabende – und dazu einen Ehemann, der eine höhere Position im selben Konzern innehat und ständig unterwegs ist. Anja jongliert alles.
Burnout droht, Burnout kommt, Anja liegt monatelang flach.
In der Reha erlebt sie erstmals Achtsamkeitstraining. Sie spürt sich wieder, findet Ruhe, entdeckt neue Möglichkeiten. Achtsamkeit wird ihre Rettungsinsel. Wieder zuhause, belegt Anja Kurse und Retreats, will nun selbst Achtsamkeitslehrerin werden. Der Buddhabedeutet „Erwachter“ oder „Erleuchteter“. Ursprünglich bezeichnete das Wort in Indien jede Person, die religiöses Erwachen erlangte. Im Buddhismus meint es jemanden, der die ewige, höchste Wahrheit aller Dinge erkennt und andere zur gleichen Erkenntnis führt. Zunächst nur auf Shakyamuni bezogen, More aus Granit, der in keinem Übungsraum fehlen darf, lächelt ihr zu.
Zurück im Job, behält sie ihr Achtsamkeitstraining eisern bei. Sie steht jeden Morgen um fünf Uhr auf, um „die perfekte Ruhe vor dem Sturm“ zu genießen. So postet sie es. So gehört sie jetzt auch zum „5-Uhr-Club“, einer weltweiten Leistungselite, benannt nach einem bekannten Business-Ratgeber.
Anja erreicht sogar, in ihrem Bereich ein Achtsamkeitstraining einzuführen, das sie selbst leitet. Alle sind begeistert: Anja, ihre Chefs, ihre achtsam werdenden KollegInnen. Ihr Bereich glänzt in Sachen „Initiativen zur psychischen Gesundheit“. Win. Win. Win.
Finde den Fehler.
Jetzt wird das „spirituelle Training“ implizit zum neuen Standard, für Anja und ihre Truppe. Die strukturellen Probleme, die zu Anjas Zusammenbruch geführt haben – überzogene Ziele, ständige Verfügbarkeit, Ressourcenmangel – bleiben unangetastet. Im Gegenteil: Jetzt kann man sie noch leichter ignorieren, denn Anja „hat ja ihre Tools“, um alles auszuhalten. Ihre spirituelle Praxis wird funktionalisiert: Sie dient nicht mehr ihr, sondern dem Erhalt eines Systems, das sie überfordert. Spiritualität, wenn es denn überhaupt eine war, wird zur Selbstoptimierungstechnik. Sie dient nicht ihrer Befreiung, sondern der Verlängerung ihrer (Selbst-)ausbeutung.
Was passiert, wenn ihre neuen „Tools“ nicht mehr ausreichen? Muss Anja dann in den 3-Uhr-Club?
Dies mit Atemtechniken
zu behandeln, ist so, als versuche
man, ein Erdbeben mit
Lavendelduft zu beruhigen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden buddhistische Techniken wie Achtsamkeit oder das „Hier-und-Jetzt“-Denken aus ihrem religiösen Kontext herausgelöst. Die Wurzel – die radikale, existenzielle Transformation des Selbst – wurde abgeschnitten. Was bleibt, ist eine Technik ohne Fundament. Der amerikanische Kritiker Ronald Purser nennt diese Entwicklung „McMindfulness“: eine marktfähige, politisch neutrale Wellness-Version des Buddhismus, die nichts verändern soll.
Auch die „Positive Psychologie“ übernahm die Oberfläche des buddhistischen Prinzips der radikalen Selbstverantwortung. Das passte in die neoliberale Welt und wurde zum Massengeschäft. Das radikale Mitgefühl, der unerlässliche Gegenpol desselben Prinzips, wurde unterschlagen. Denn das passte nun mal nicht so gut. Deshalb hier zur Erinnerung:
Wenn man den Buddhismus ernst nimmt und nicht nur die Oberfläche nutzt, ergibt sich ein vollkommen anderes Menschen- und Wirtschaftsbild. Damit wäre er nicht mehr kompatibel mit den heutigen Verhältnissen im Spät-/Turbo-/Techno-Kapitalismus. Er würde ständig „Stopp!“ schreien und versuchen, die tiefste Kraft in uns walten zu lassen: Die Buddhaschaft, eine revolutionäre Kraft, die uns allen innewohnt.
Das Persönlichkeitsideal im Buddhismus ist der Bodhisattvabedeutet wörtlich „Erleuchtungswesen“ (bodhi = Erleuchtung, sattva = Lebewesen), ein Wesen also, das auf dem Pfad der Erleuchtung unterwegs ist. Im Buddhismus wurde er zum Ideal jedes Praktizierenden, der Erleuchtung sowohl für sich als auch für andere anstrebt – oft More: ein Mensch, der die Kraft seiner Buddhaschaft – Mut, Weisheit, Mitgefühl – nutzt, um sich selbst und anderen Gutes zu tun. Diese Güte kann in Form eines guten Brotes, einer Hose, eines medizinischen Eingriffs oder eines klärenden Gesprächs erscheinen. All diese Dinge stehen für sich. Sie sind zunächst einmal keine Waren und keine Produkte. Sie sind Beiträge zum menschlichen Miteinander.2
Daraus ließe sich ein wirtschaftliches Ideal ableiten: eine kooperative Wirtschaft, in der Menschen aus Leidenschaft für die Sache handeln, nicht aus Überlebensdruck. Wettbewerb wäre möglich, aber sportlich, neugierig, kreativ – nicht zerstörerisch. Einige Branchen leben das sogar ansatzweise: die Wissenschaft, die Kunst, bestimmte Handwerke.
Ist das naiv? Nur, wenn man an den Homo Oeconomicus glaubt, die theoretische Figur des rationalen Nutzenmaximierers, die in der realen Welt kaum existiert. Wirtschaft ist letztlich eine Verhaltenswissenschaft: Sie beschreibt unsere Gier, unsere Erwartungen, unsere Ängste, unsere Vitalität. Wirtschaftliche Daten sind verdichtete Berichte über den Zustand unseres kollektiven Bewusstseins.
Die Frage ist also nicht nur: Wie wirtschaften wir?
Sondern: Wer sind wir, wenn wir wirtschaften?
Ob nun die leise oder laute Strategie die bessere ist, vermag ich nicht zu sagen. Doch ich mache um die Eindruck-Macher mittlerweile routiniert einen Bogen und wende mich den Eindruck-Anbietern an den Rändern zu. Risiko: Es kann dort sehr langweilig werden. Chance: Meistens entsteht dort zuerst ein improvisiertes Zuhause für zwei Menschen und später ein neuer Hotspot, zu dem sich immer mehr Menschen gesellen. Weil zwei Menschen zuerst, in stiller Stärke, ihre Verwundbarkeit signalisiert haben, einander berührbar geworden sind und eine gemeinsame Wirklichkeit geschaffen haben, die allmählich ihre eigene Attraktivität entwickelt.
Je nach dem, woran wir unser
Herz ausrichten, formen wir
unser berufliches und
wirtschaftliches Handeln
– und damit die Welt.
Daisaku Ikeda formulierte diese Frage als Entscheidung zwischen dem großen Selbst und dem kleinen Selbst.3 Das große Selbst ist generös, offen, zugewandt. Das kleine Selbst ist getrieben von Mangel, Angst und Statusdenken. Je nach dem, woran wir unser Herz ausrichten, formen wir unser berufliches und wirtschaftliches Handeln – und damit die Welt.
Vielleicht ist es das, was es bedeutet, sein Leben auf das große Selbst auszurichten: zu erfahren, dass etwas genug ist. Nicht aus Schwäche, sondern aus Freiheit.
Vielleicht bedeutet es, die Freude des Gebens zu entdecken, unabhängig von der Gegenleistung.
Vielleicht heißt es, sich nicht länger am gierigsten Teil der Wohlhabenden zu orientieren, sondern deren Verhalten schlicht nicht mehr attraktiv zu finden.
Vielleicht heißt es auch, strukturell etwas zu verändern – im Kleinen oder im Größeren.
Es könnte so vieles sein, was es noch zu entdecken, erleben und kultivieren gibt.
Nichiren, der Begründer meiner buddhistischen Schule, schrieb: „… nichts [ist] wichtiger, als die eigenen Verpflichtungen gegenüber anderen zu verstehen. Und ich machte es zu meiner vorrangigen Aufgabe, solche Güte und Freundlichkeit zu erwidern.“4
In der Business-Logik wirkt das nicht besonders vorteilhaft. Doch vielleicht ist nicht diese Haltung das Problem – sondern die Logik. Vieles an unserer aktuellen Ökonomie ist bereits unökonomisch. Nicht nur das: Es wird uns langsam, aber sicher, bei lebendigem Leibe auffressen:
Die politische Großwetterlage sorgt derzeit dafür, dass bei jeder Krise oder Disruption vor allem die greedy classes profitieren, jene, die ohnehin schon überproportional besitzen und gestalten dürfen. Das fragile Gleichgewicht zwischen Mensch, Wirtschaft und Gesellschaft droht zu kippen. Das könnte so enden wie bei jedem Monopoly-Spiel: The Winner Takes It All. Und dann? Die Dynamik erlahmt. Das Spiel ist frustrierend, langweilig – game over.
Buddhismus passt nicht in die heutige Wirtschaft, genauso wie Menschen nicht in eine Wirtschaft passen, die sie erst verbrennt und dann ausspuckt. Und die längst nicht mehr das dringend Notwendige so ökonomisch wie möglich produziert. Aber es gäbe sehr wohl eine Wirtschaft, die in den Buddhismus passt. So könnte sie beginnen:
Eine Bodhisattva-Ökonomie beginnt mit Menschen, die bereit sind, wieder Mensch zu sein. Die sich nicht spiritualisieren, um produktiver, sondern um wahrhaftiger zu werden. Die mutig genug sind, Grenzen zu ziehen. Und wagemutig genug, sich vorzustellen, was von Bodhisattvabedeutet wörtlich „Erleuchtungswesen“ (bodhi = Erleuchtung, sattva = Lebewesen), ein Wesen also, das auf dem Pfad der Erleuchtung unterwegs ist. Im Buddhismus wurde er zum Ideal jedes Praktizierenden, der Erleuchtung sowohl für sich als auch für andere anstrebt – oft More zu Bodhisattvabedeutet wörtlich „Erleuchtungswesen“ (bodhi = Erleuchtung, sattva = Lebewesen), ein Wesen also, das auf dem Pfad der Erleuchtung unterwegs ist. Im Buddhismus wurde er zum Ideal jedes Praktizierenden, der Erleuchtung sowohl für sich als auch für andere anstrebt – oft More alles möglich wäre. Mit dem Überfluss, den wir Jahr für Jahr produzieren. Mit den Technologien, über die wir verfügen. Wir leben schließlich seit einem halben Jahrhundert nicht mehr im Mangel.
Vielleicht hat es sich noch nicht genug herumgesprochen: Es wäre mehr als genug für alle da.
* * *
1) Viktor Frankl betont in Der unbewusste Gott, dass das Religiöse eine eigenständige Dimension menschlicher Existenz ist. Er warnt ausdrücklich davor, sie psychologisch oder funktional zu vereinnahmen – etwa als Mittel zur Anpassung. Damit setzt er sich klar von Freud ab, der das Religiöse als psychischen Sekundäreffekt verstand. Damit formuliert er genau jene Grenze, die heute in der unternehmerischen Vereinnahmung von Achtsamkeit häufig überschritten wird.
2) Hannah Arendt erinnert in Ihrem Werk Vita Activa oder vom tätigen Leben daran, dass zu vormodernen Zeiten das Einsetzen der eigenen Fähigkeiten zum Wohle anderer vom Geldverdienen getrennt waren. „… denn was hatte das Geld schon mit der Gesundheit, dem Gegenstand der Medizin, der der Errichtung von Gebäuden, dem Gegenstand der Architektur, zu tun?“ (ebd. Seite 172, siehe auch Literaturliste)
3) Daisaku Ikeda definiert dies zum Zweck der buddhistischen AusübungDie Ausübung des Soka-Buddhismus besteht aus drei Disziplinen: Ausübung, Glaube und Studium. Sie greifen ineinander und verstärken sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig. Wer aus einer anderen Tradition kommt, kann die drei Disziplinen auch als universelle Dimensionen verstehen – regelmäßige Ausübung, Vertrauen More: „Letzten Endes kommt es darauf an, ob wir unser Leben auf dem großen Selbst aufbauen oder an das kleine Selbst gefesselt bleiben.“ – in Das Prinzip Hoffnung, Bd.2, S. 159
4) Die Schriften Nichiren Daishonins, Herder Verlag 2007, S. 152
5) Der Marketing-Rucksack wird eindrücklich beschrieben in Günter Faltins jüngstem Buch David gegen Goliath – Wir können Ökonomie besser, Murmann/Haufe, 2019, S. 186 ff – in früheren Büchern heißt der Rucksack auch „Marketing-Monster“.
6) Ansätze für eine buddhistische Ökonomie gibt es schon seit den 1970ern. Als Pionier gilt E.F. Schumachers Small is Beautiful, weiterverfolgt. Aktualisiert wurden diese Gedanken unter anderem in All You Need Is Less von Manfred Folkers und Niko Paech, oekom, 2020
7) Wer sich in der Neubetrachtung üben möchte (ohne buddhistischen Anschluss), dem sei die neueste Ausgabe der Sukzession Bd. VI nahegelegt, mit dem Titel unterbrechen – Übung. Diese Zeitschrift verlegt mein Freund und Sparringspartner Derk Janßen.
#BuddhaMoments #Mutmacher
Who Do You Believe, Big Wild
Save Some, Macy Gray
Some Of Us Are Brave, Danielle Ponder
Die 3 Songs hören auf Spotify.
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Enjoy!
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