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Ich bin ein typisches Arbeiter-und-Bauernkind der kapitalistischen BRD, aufgewachsen in kleinen Verhältnissen. Ungleichheit? Habe ich damals nicht gespürt. Anlass genug, in die 1970/80er zu blicken und festzustellen, was da anders lief als heute.
Als meine Eltern 1961 heirateten, hatten deren Eltern so gut wie nichts. Meine Oma ist 1946 mit meiner Mutter und zwei weiteren Geschwistern vom Sudetenland nach Franken geflüchtet (worden). Der Bauernhof, die Ländereien, verloren. Die Eltern meines Vaters hatten nicht einmal keinen Bauernhof mehr: Mein Opa schuftete als Maschinist in einer Brauerei und lebte mit seiner Frau in einer 70qm-Mietswohnung mit Etagentoilette und ohne Bad. Was die finanzielle Ausgangslage betraf, war es also eine echte Null-Null-Situation für Mama und Papa.
Warum hat es mich, fünf Jahre später bei meiner Geburt, trotzdem nicht in die Armutsfalle getrieben?
Ich darf erinnern, was damals möglich war: Alle Bürger, die zum 21. Juli 1948 (Tag der Währungsreform) Vermögen besaßen, mussten die Hälfte davon an diejenigen abgeben, die aufgrund von Krieg, Flucht und Vertreibung nichts mehr hatten. Die Abgabe wurde nicht auf einmal fällig, sondern in Raten über 30 Jahre hinweg. Insgesamt flossen damals über 100 Milliarden DM von den Begüterten zu denen, die im Krieg große Verluste erlitten – wie die Familie meiner Mutter.
Ein gigantisches Programm, das heute etwa die Hälfte des Bundeshaushalts umfassen würde, nach heutiger Kaufkraft wären das etwa 800 Milliarden Euro. Es gab dafür Geldzahlungen, Hausratshilfen, Wohnraumförderung in Form von günstigen Krediten oder Grundstücken, oder Existenzgründungshilfen für Selbstständige und Handwerker.
Dies geschah nicht ohne Proteste seitens der Vermögenden und der alteingesessenen Armen (wie meiner Großeltern väterlicherseits). Aber unser Staat – unter CDU-Regierung!!! – konnte es durchziehen und die Gesellschaft trug es letztlich mit.
Die moralische Basis für das Wirtschaftswunder war somit gelegt: Alle konnten an ihm teilhaben. Der Lastenausgleich war der wesentliche Erfolgsfaktor für den Wohlstand der Bundesrepublik.
Wäre das heute noch möglich? Zur Erinnerung: Uns gelingt es nicht einmal, die Erbschaftssteuer wieder auf das Niveau der 1980er zu bringen. Oder die Mindestlöhne so zu erhöhen, dass sie sich vom Bürgergeldbezug signifikant unterscheiden.
Umverteilung ist kein Direktflug-Ticket
in den sozialistischen Bankrott,
sondern entfaltet eine Dynamik,
die allen Schichten zugutekommt.
Quod erat demonstrandum per CDU: Umverteilung ist kein Direktflug-Ticket in den sozialistischen Bankrott, sondern entfaltet eine Dynamik, die allen Schichten zugutekommt. Auch die Reichen von damals wurden schnell wieder noch reicher.
Und meine Familie hatte eine Chance.
Sie fand mit ihren drei Kindern Unterkunft bei einer Frau, die die Postfiliale im Dorf leitete. Sie verschaffte ihr einen Job als Briefträgerin an. Damit hatte sie ein stabiles, respektables Einkommen und alle Bonbons, die Beamte so haben. Mit dieser Sicherheit und den Zuwendungen aus dem Lastenausgleich kaufte sie ein Grundstück, und baute ein Haus. Und eins für meine frisch verheirateten Eltern gleich mit. Als ich fünf Jahre später auf die Welt kam, durfte ich mein eigenes Zimmer beziehen. Mit Balkon und Aussicht auf drei wunderschöne Silberpappeln.
Mein Opa musste als ungelernter Arbeiter bei AEG am Fließband stehen. Damit kam der ehemalige Hof-Eigentümer nur schwer zurecht, aber immerhin: Urlaube, Sozialleistungen und Löhne wuchsen mit den Jahren. So stark, dass meine Oma befand: „Hör doch auf Deinem Hof hinterher zu jammern! Uns geht’s doch jetzt besser als mit der ständigen Plackerei damals.“ Mein Opa hatte immerhin noch seinen Garten, in dem er nach Feierabend Bauer sein konnte. Und einen gepachteten Kartoffelacker. Wir hatten Bio-Gemüse, bevor es Bio-Gemüse gab.
Dazu ein paar Zahlen: Opa verdiente damals als ungelernter Arbeiter etwa 600 DM. Ein leitender Angestellter etwa das 3fache. Der Vorstandsvorsitzende der AEG dürfte etwa 18.000 DM im Monat eingefahren haben. Also das 30fache meines Opas. Heute liegen solche Differenzen bei Dax-Konzernen locker bei 1:100+.
Heute wären meine Großeltern höchstwahrscheinlich in prekäre Arbeitsverhältnisse abgeglitten. Selbst wenn meine Oma sich nicht als Fahrradkurierin mit Pizza auf dem Buckel abstrampeln, sondern einen Job als Zustellerin bei der Deutschen Post DHL mit 3000€ brutto ergattern würde: Ein eigenes Haus mit Garten zu finanzieren wäre heute nicht drin. Sie hätte nicht einmal die Kreditwürdigkeit dafür.
Seine Intelligenz hatte noch große Kapazitäten frei, aber ein Hochschulstudium war nicht drin. Das sollte es erst für mich geben. Stattdessen machte mein Vater zwei Meisterprüfungen bei Grundig und wechselte dann zu Siemens, in dessen Schoß er bis zum Renteneintritt (mit 55!) geblieben war. Dort machte man ihn zum Ingenieur und er forschte an Projekten zur Kernfusion. Wenn im Team jemand Geburtstag hatte, wurde einen Nachmittag lang gefeiert.
Als die Kinder zur Welt kamen, hörte meine Mutter als Stenotypistin auf zu arbeiten. Ich will hier nicht sagen, dass das gut war. Ich will nur sagen, dass dies MÖGLICH war. Eine vierköpfige Familie konnte mit einem mittleren Einkommen, einem abzuzahlenden Eigenheim mit Garten, Auto, zwei Urlauben im Jahr gut leben. Sie konnten auch noch etwas zur Seite legen und mich finanziell während des Studiums unterstützen.
Brillen, Zahnersatz, Zahnspangen kosteten noch nichts, Schwimmbäder, Museen, Theater und ÖPNV einen Bruchteil der heutigen Preise, inflationsbereinigt.
Sicher gab es auch damals schon soziale Unterschiede, aber: Mir fielen sie einfach nicht auf. Wir gingen alle auf die gleichen Schulen. Privatschulen gab es nicht, abgesehen von den Waldorfschulen, die alle seltsam fanden. Und ja, in Bayern hat es echten Leistungsdruck gegeben, aber eben für alle. Meine erste richtige Freundin (Parallelklasse) stammte mütterlicherseits aus einer Kaffee- und Feinkost-Dynastie. Ja, das Haus war etwas größer – aber sonst? Ich, einer Habenichts-Dynastie entstammend, hatte mich mit ihren Eltern prima verstanden. Kein Dünkel, kein Abstandhalten, sondern gute Gespräche über Politik und Poesie.
Meine erste eigene Wohnung hatte 70 qm und kostete 300 DM Miete. Mit Jobs und später während des Zivildiensts leicht finanzierbar. Mit 18 war ich mein eigener Herr. Totarbeiten musste ich mich dafür nicht. Ich finanzierte mir sogar noch eine Ausbildung in Modern Dance, nahm Querflöten- und Stepptanz-Stunden, schrieb Kabarett-Texte und führte sie in Nürnbergs Kleinkunstbühnen auf. Es war Boheme-Leben auf sattem Niveau. Heute? Unbezahlbar.
Zum ernsthafteren Studieren ging ich nach Großbritannien, das kostete mich dank EU keinen Cent mehr als in Deutschland. Heute? Brexit. Studium an meiner Alma Mater anno 2025: 18.000 GBP pro Jahr.
Die Daten aus der neuen ifo-Studie* bestätigen meine Erfahrung: Für die Geburtsjahrgänge 1968-1987 ist die Chance, ein höheres Einkommen als die Eltern zu erreichen, deutlich gesunken. Der Einfluss des Elterneinkommens hat sich dabei innerhalb einer Generation verdoppelt. Im internationalen Vergleich sinkt Deutschland in Sachen Einkommensmobilität auf USA-Niveau, wo die Tellerwäscher schon seit längerem Tellerwäscher bleiben.
Ich höre die Einwände in mir: Ja, das waren goldene Ausnahmezeiten, da ging es doch ständig nur bergauf …
Stimmt nicht. Die Bundesrepublik war nicht nur auf Erfolgs- und Wachstumskurs, hier die Erschütterungen:
… und trotzdem blieb die Gesellschaft als Ganzes stabil.
Und meine Familie musste zu keinem Zeitpunkt fürchten, ihr Haus an die Bank zu verlieren.
Eine Kinderarmuts-Statistik wurde zu meinen Kindheitszeiten (ca. 1970) nicht geführt, aber man schätzt: 6-8 % der Kinder in Westdeutschland waren damals gefährdet.
2023 waren es 14 Prozent.
Warum haben sich die Dinge so entwickelt?
Warum sind heute Staat, Wirtschaft und Gesellschaft viel weniger resilient?
Irgendwann in den Achtzigern begann das leise Kippen. Der Wohlstand wurde nicht mehr als gemeinsames Projekt verstanden, sondern als persönlicher Sieg. Die „geistig-moralische Wende“ der Kohl-Jahre markierte mehr als nur einen Regierungswechsel: Der gesellschaftliche Kompass drehte sich.
Kohl änderte den Ton: Leistung trat an die Stelle von Gerechtigkeit, Eigenverantwortung an die von Solidarität. Das wurde noch nicht gänzlich in Gesetze gegossen, aber ständig und heftig propagiert.
Vollendet wurde die Wende paradoxerweise durch SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Mit der Agenda 2010 wurde die alte Sozialstaatsarchitektur auf Effizienz getrimmt: Arbeitslose wurden diskriminiert, Löhne flexibilisiert, Sicherheit in Zumutung verwandelt. So begann die große Spreizung – erst in der Sprache, dann in den Strukturen.
Zwischen 1980 und 2000 sank der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen um fast zehn Prozentpunkte – still, aber folgenreich. Die alte Gleichung „Wachstum = Wohlstand für alle“ funktionierte nicht mehr. Und wir bemerkten es erst, als die Mittelschicht zu rutschen begann.
Aus buddhistischer Sicht war das kein ökonomischer, sondern ein geistiger Bruch. Wir haben die wechselseitige Abhängigkeit aller Dinge (pratītyasamutpāda) aus dem ökonomischen Denken verbannt. Wo früher das Bewusstsein herrschte: „Mein GlückWird hier im Sinne einer aktiven, dynamischen Lebenskunst verstanden. Wird im Soka-Buddhismus so beschrieben: • Glück ist hier eine innere Qualität und unabhängig von äußeren Umständen. Durch die Ausübung des Soka-Buddhismus kann ich Glück ansammeln oder trainieren. Wie einen Akku in More hängt mit deinem zusammen“, dort entstand die Illusion der Trennung.
Von da an hieß „Erfolg“: sich abgrenzen, absichern, absetzen.
Das Leid verteilt sich neu: Angst nach oben, Scham nach unten.
Und seither versuchen wir, mit Förderprogrammen und Sonderzahlungen zu kitten, was in Wahrheit ein spirituelles Loch ist: der Verlust des Mit-Gefühls als gesellschaftlicher Ressource.
Der Buddhismus meint dazu:
„Wohlstand entsteht,
wenn das Herz der Menschen weit bleibt.“
Derweil zieht der Bruch weiter und tiefer Richtung Faschismus. Buddhistisch gesehen siedelt die faschistische Ideologie in der Welt der Animalität: Die Starken fressen mitleidlos die Schwachen. Dieses „gesunde Naturgesetz“ macht der Faschismus zum Menschengesetz. Im Buddhismus gilt Animalität nach Hölle und Hunger als drittniedrigster Lebenszustand.
Damit ist nicht nur die Partei gemeint, sondern gerade das, was auch an der CDU ganz selbstverständlich sozialdemokratisch war. Was das gewesen ist? Frag Ludwig Erhard.
Und die SPD? Muss sich nicht neu erfinden, sondern sich nur an ihre beste Version erinnern. Das war die, in der sie wusste, dass soziale Sicherheit kein Kostenfaktor ist, sondern der Boden, auf dem Freiheit wächst.
Hätte sie heute den Mumm, Umverteilung als Zukunftsinvestition zu verkaufen – Vermögenssteuer, faire Erbschaften, Chancengleichheit als Staatsziel – dann würde sie nicht zum „düsteren Sozialismus“ führen, sondern zurück zum Gleichgewicht. Und das wäre nicht einmal Propaganda, sondern historisch verbriefte Wahrheit.
Das braucht Zeit – und den Willen zu einer neuen „geistig-moralischen Wende“.
Gab’s da nicht mal einen, der „mehr Demokratie wagen“ wollte?
Gab’s da nicht mal einen, der aus Mitgefühl auf die Knie fiel?
Wo sind heute die, die „mehr Wohlstand wagen“?
Der Buddhismus meint dazu: „Wohlstand entsteht, wenn das Herz der Menschen weit bleibt.“
Und an die Adresse der C-Parteien: Jesus Christus hätte das unterstrichen.
* Rising Inequality, Declining Mobility: The Evolution of Intergenerational Mobility in Germany, unter der Leitung von Andreas Peichl, erschienen am 5. September 2025
People Have The Power, Patti Smith
On the Nature of Daylight, Max Richter
Democracy, Leonard Cohen
Zu finden in der Playlist von Buddha-in-Business auf Spotify Enjoy!
#TruthBomb #MutMacher